Um ihnen die Ausstellung näher zu bringen, will ich zunächst
berichten, was uns als Gruppe von Forschenden und Freunden zu dieser
Untersuchung motiviert hat.
Als wir die Idee entwickelten, standen wir, das sind Eva
Jaeggi, Barbara Schervier-Legewie, Ulrike Bergold, Heiner Legewie und ich,
entweder kurz vor der Altersstufe von 70 Jahren oder hatten sie überschritten.
Drei von uns hatten ihre Universitätslaufbahn beendet und mussten sich neu
orientieren.
In einem unserer freundschaftlichen Zusammentreffen kamen
wir auf die Idee, zusammen ein Untersuchungsprojekt zu machen. Heiner Legewie
schlug uns dann das Thema „Kreativität im Alter“ vor. Er war schon von Jugend
an künstlerisch interessiert und produktiv gewesen und wollte nun, nach Abschluss
der Berufsarbeit, auch selbst wieder künstlerisch tätig werden. Für die beiden
beteiligten Frauen passte das Thema auch gut. Ulrike Bergold ist ausgebildete
Fotografin mit einer langen Geschichte in der künstlerischen Fotografie.
Barbara Schervier-Legewie ist Psychologin aber auch schon länger an
künstlerischer Fotografie und Film interessiert.
Die gemeinsame produktive Aufgabe war eine Seite unserer
Motivation zu dieser Untersuchung. Eine andere Seite war sicherlich unsere
eigene Lebenssituation. Wir waren mit der Frage nach unserer eigenen weiteren
Lebensperspektive konfrontiert. Als Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen
waren wir gewohnt und auch immer gefordert gewesen, produktiv und kreativ zu
sei, neue Themen auszugreifen, neue Fragen zu stellen, neue Antworten zu geben usw.. Für uns stellten sich
Fragen wie z.B.:
·
Was wird mit zunehmendem Alter mit unserer
eigenen Kreativität geschehen?
·
Werden wir die Zeit bis zu unserem Tod im besten
Fall mit vergnüglichen Erlebnissen wie Reisen, Konzertbesuchen, Enkelhüten,
gutem Essen und Trinken und Ähnlichem, also rezipierend verbringen?
·
Sind wir sicher, dass es uns gelingen wird, auch
mit zunehmendem Alter noch kreativ zu sein? In der Psychologie herrschte
nämlich bis vor kurzem ein Defizitkonzept des Alters vor, das Alter als
kontinuierlicher kognitiver, emotionaler und körperlicher Abbau.
Zwar waren wir überzeugt, dass wir selbst durchaus in der
Lage wären, auch weiterhin produktiv und kreativ zu denken und zu arbeiten.
Aber ich habe den Verdacht, dass wir uns auch misstraut haben und unsicher
waren, ob wir wirklich neue Möglichkeiten finden würden. In dieser Situation
haben wir auf das zurückgegriffen, was wir ein Leben lang gelernt und gemacht
hatten, auf die Wissenschaft.
Dort gibt es in der Entwicklungsforschung einen wichtigen
Grundsatz. Dieser lautet:
Wenn du etwas über zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten
wissen willst, suche dir sogenannte „entwickelte Fälle“, also Beispiele für
eine gelungene Entwicklung. Sie zeigen dir, welche Entwicklungsmöglichkeiten es
gibt. Das kann helfen, eine Perspektive für Entwicklung zu gewinnen.
Auf dem Hintergrund eines solchen Grundsatzes lag es nahe,
die Kreativität von Künstlern im Alter zu untersuchen. Künstler sind in unserer
Gesellschaft der Prototyp für Kreativität. Wir konnten also einigermaßen sicher
sein, dass wir in dieser Gruppe entwickelte Fälle finden würden, also Menschen,
die auch im Alter noch kreativ sind.
Da wir Psychologen und keine Kunsthistoriker sind,
interessierten uns die persönlichen Aussagen der Künstler über ihre Erfahrungen
mit dem Alter und seinen Auswirkungen auf die künstlerische Tätigkeit, nicht
eine Untersuchung des sogenannten Alterswerks. Wir danken den Künstlern, die
uns so viel Vertrauen entgegengebracht haben, um uns einen Einblick in ihre
persönliche Perspektive auf dieses Thema zu geben und uns zu erlauben, ihnen
diese Aussagen vorzustellen.
In der Ausstellung werden sie 10 Tafeln vorfinden, auf denen
die Aussagen zu den drei Hauptthemen (Was bedeutet Kreativität? Der schöpferische
Prozess und Einfluss des Alters) von jeweils einer Künstlerin oder einem
Künstler weitgehend so aufgezeichnet sind, wie sie im Interview gesagt wurden.
Zusätzlich sehen sie noch zwei Tafeln mit Aussagen aus wissenschaftlicher
Sicht, zum Einen über neuere Entwicklungen in der Psychologie des Alterns und
in der kunsthistorischen Diskussion über das Alterswerk, und zum Anderen eine Analyse der Struktur, die
sich aus den Aussagen unserer Interviewpartner und -partnerinnen abstrahieren
lässt.
Um ihnen die Künstler über die Aussagen hinaus auch optisch
näher zu bringen, haben wir sie gebeten, uns für diese Ausstellung zwei Werke
zur Verfügung zu stellen, ein älteres und ein möglichst ganz neues. So können
sie sich selbst einen Eindruck von ihrer künstlerischen Tätigkeit machen.
Außerdem haben wir auch Fotos hinzugenommen, welche Ulrike Bergold von den
Künstlern während der Interviews aufgenommen hat.
Wir sind uns darüber im Klaren, dass es kaum möglich ist,
die vielen Texte auf den ausgestellten Tafeln vollständig zu lesen. Schon gar
nicht wird die Zeit ausreichen, die vielfältigen Anregungen zu verarbeiten und
in Beziehung zu den eigenen Erfahrungen zu setzen. Wir möchten sie daher
anregen, durch die Ausstellung zu wandern und an dem einen oder anderen Bild
hängen zu bleiben, sich von einzelnen Aussagen in den Texten anregen zu lassen
und den eigenen Ideen nachzugehen.
Als Nächstes will ich noch einige, wenige Punkte aufgreifen,
an denen ich/wir selbst „hängen geblieben“ sind, die unser Denken über die
eigenen Entwicklungsmöglichkeiten angeregt haben. Was haben wir gelernt?
Es ist uns deutlich geworden, dass wir uns von dem Begriff
der Kreativität lösen sollten, der ja zu Beginn unsere Fragestellung geleitet
hatte. Er ist zu einem Reizwort in glanzvollen Werbeprospekten verkommen.
Kreativität ist außerdem ein Begriff aus der Beobachterperspektive und nicht
aus der Subjektperspektive, d.h. das Prädikat „kreativ“ wird von außen, von
einem Beobachter der Tätigkeit oder dem Produkt zuerkannt. Die Künstler, die
wir interviewt haben, konnten relativ wenig damit anfangen. Das machte unsere
Suche nach der Kreativität im Alter aus der Subjektperspektive unergiebig.
Ich glaube, man muss bei diesem Begriff auf seinen Ursprung
zurückgehen, nämlich auf das Lateinische „creare“, etwas hervorbringen, etwas
erschaffen. „In principio creavit Deus caelum et terram“ - Am Anfang schuf Gott
Himmel und Erden. Dabei wird auch noch angegeben, dass es offensichtlich Spaß
gemacht hat, denn in der Bibel wird nach jeder Schöpfungstat festgestellt: und
er sah dass es gut war.
Damit trifft man sich mit den Künstlern, für die das
Etwas-machen im Vordergrund steht. Der Bildhauer Rolf Szymanzki beispielsweise sagt: “Ja, Kreativität. Ja, kreativ
ist doch das Machen.”
Der
Maler Harald
Reichelt fügt dann noch den Spaßteil hinzu in dem er sagt: “Und insofern ist für mich
also nicht unbedingt der Prozess so ein Kreativprozess, sondern es ist einfach
ein Prozess des Machens. Und das Spaßige daran ist ja eigentlich das Machen,
nicht. Wenn das Ding dann fertig ist, interessiert es mich eigentlich nicht
mehr.“
Das
Machen um des Machens Willen, so grundlegend wie atmen. Das könnte aus der Sicht der
Künstler die angemessene Bestimmung von schöpferischer Tätigkeit sein. Wenn man
dies mit wissenschaftlichen Begriffen fassen will, so scheint der Begriff der
„Funktionslust“ geeignet, der aus der kindlichen Entwicklung bekannt ist. Das
ist die „Annahme K. Bühlers, dass das spielende Kind nicht aus Genuss-
oder Schöpferfreude, sondern aus Lust an den biol. Funktionen unermüdlich
Handlungen gestalte und wiederhole.“ (aus Dorsch, Lexikon der Psychologie, https://portal.hogrefe.com/dorsch/funktionslust/)
Die von uns
befragten Künstler scheinen diese Lust mit zunehmendem Alter nicht zu
verlieren. Allerdings muss man sich fragen, warum das so ist.
Um das zu
verstehen, muss man auf ihre Beschreibung des Arbeitsprozesses zurückgreifen.
Sie berichten, dass für sie dieser Prozess das Wichtigste, Interessanteste und
Spannendste ist. In der Auseinandersetzung mit dem Material entstehen immer
wieder neue Herausforderungen. Diese können einerseits von Außen, aus der
Widerständigkeit des Materials kommen. Die Farbe kann plötzlich unkontrolliert
fließen, der Stein oder das Holz sind an bestimmten Stellen widerständig und
erlauben nicht das zu formen, was ursprünglich geplant war, bei Installationen
werden Dinge von den Helfern anders als verabredet gemacht oder in der
Diskussion mit ihnen entstehen neue Ideen usw.. Solche neue Ideen oder
Sichtweisen können andererseits auch aus dem eigenen Inneren kommen, es sind
Assoziationen, Erinnerungen, Gefühle, Emotionen, welche das ganze Konzept
verändern können.
Ich denke,
dass dieser Schaffensprozess, in dem Neues und Unerwartetes auftaucht, auf das
dann schöpferisch reagiert werden muss, der entscheidende Faktor ist, um auch
im Alter weiter mit Lust zu arbeiten. Bei unseren Interviewpartnern bleiben Neugier
und Interesse bestehen, weil sie tatsächlich in diesem Prozess, der nicht voraussehbar
ist, immer wieder Neues und Aufregendes entdecken.
Der Maler Wolfgang Leber formuliert dies sehr eindrücklich.
Er sagte uns: „die Welt der Malerei ist so voller Wunder, sage ich einmal, und
so voller Erfindungen. Das kann man sich gar nicht vorstellen. Und das macht
die Sache auch spannend und interessant. Und da braucht man doch nie denken,
dass es einmal irgendwie ein Ende gibt.“
In diesem
Prozess wir nicht nur das Material verändert und wird zum manifesten Kunstwerk,
sondern auch die Künstlerin oder der Künstler.
Die
mexikanische Bildhauerin und Installationskünstlerin Helen Escobedo nennt dies
ein kontinuierliches Lernen auch im Alter: „I learn
and learn and learn. I wouldn't ever have thought of it in a thousand years.”
Dieser
Prozess ist auch eng mit grundlegenden Dimensionen der Persönlichkeit
verbunden. In ihren Aussagen definieren sich die von uns interviewten
Künstlerinnen über ihrer Arbeit, d.h. über das Schöpferisch-etwas-machen. Die
künstlerische Tätigkeit ist zentraler Teil ihrer Identität. Das klingt
vielleicht selbstverständlich, hat aber weitreichende Konsequenzen. Das wird bei
Elrit Metzkes deutlich. Sie schildert, wie bei Abschluss eines Werks gar keine
große Freude aufkommt, weil sie in Gedanken schon wieder beim nächsten ist.
Dann fährt sie fort: „Der Gedanke, dass ich sagen würde: "So! Das ist das
Letzte", das wäre ja ein Aufgeben, dass man sich selber aufgibt, ne? Nein,
so fühle ich mich noch nicht.“
Die befragten Künstler gewinnen in dem kontinuierlichen, immer neuen
Machen ein Bewusstsein der Kontinuität ihrer Identität. Aufhören würde
bedeuten, sich selbst aufzugeben. Die beständigen Herausforderungen und deren
Bewältigung motivieren, der Welt offen, aufmerksam und neugierig
gegenüberzutreten. Gleichzeitig sind sie der beste Schutz gegen altersbedingten
Rückzug, selbst wenn physische Beeinträchtigungen das Machen erschweren. Dann
kann man auf andere Techniken umschalten, z.B. vom spitzen Bleistift auf einen
breiteren Pinsel.
Es gibt
noch viele andere Punkte, die uns angeregt haben, über uns selbst und unsere
Entwicklung nachzudenken. Wir wünschen und hoffen, dass sie im Gang durch die
Ausstellung ebenfalls Anregungen und Ideen gewinnen, wie
Entwicklungsperspektiven für ein kreatives Alter aussehen könnten.
Bevor ich
jetzt ende, möchte ich mich noch ganz herzlich bei der Baumgart-Stiftung
und deren Vorsitzende, Frau Dr. Hildegard Baumgart bedanken, die unser
Unternehmen durch finanzielle Unterstützung gefördert hat, und bei Wolfgang
Immenhausen und der Galerie am Wannsee, der die schönen Räume und das herrliche
Ambiente zur Verfügung gestellt hat.
Jarg Bergold
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen