Einführung in die Ausstellung vom 20.4.2014



Um ihnen die Ausstellung näher zu bringen, will ich zunächst berichten, was uns als Gruppe von Forschenden und Freunden zu dieser Untersuchung motiviert hat.
Als wir die Idee entwickelten, standen wir, das sind Eva Jaeggi, Barbara Schervier-Legewie, Ulrike Bergold, Heiner Legewie und ich, entweder kurz vor der Altersstufe von 70 Jahren oder hatten sie überschritten. Drei von uns hatten ihre Universitätslaufbahn beendet und mussten sich neu orientieren.
In einem unserer freundschaftlichen Zusammentreffen kamen wir auf die Idee, zusammen ein Untersuchungsprojekt zu machen. Heiner Legewie schlug uns dann das Thema „Kreativität im Alter“ vor. Er war schon von Jugend an künstlerisch interessiert und produktiv gewesen und wollte nun, nach Abschluss der Berufsarbeit, auch selbst wieder künstlerisch tätig werden. Für die beiden beteiligten Frauen passte das Thema auch gut. Ulrike Bergold ist ausgebildete Fotografin mit einer langen Geschichte in der künstlerischen Fotografie. Barbara Schervier-Legewie ist Psychologin aber auch schon länger an künstlerischer Fotografie und Film interessiert.
Die gemeinsame produktive Aufgabe war eine Seite unserer Motivation zu dieser Untersuchung. Eine andere Seite war sicherlich unsere eigene Lebenssituation. Wir waren mit der Frage nach unserer eigenen weiteren Lebensperspektive konfrontiert. Als Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen waren wir gewohnt und auch immer gefordert gewesen, produktiv und kreativ zu sei, neue Themen auszugreifen, neue Fragen zu stellen, neue Antworten  zu geben usw.. Für uns stellten sich Fragen wie z.B.:
·      Was wird mit zunehmendem Alter mit unserer eigenen Kreativität geschehen?
·      Werden wir die Zeit bis zu unserem Tod im besten Fall mit vergnüglichen Erlebnissen wie Reisen, Konzertbesuchen, Enkelhüten, gutem Essen und Trinken und Ähnlichem, also rezipierend verbringen?
·      Sind wir sicher, dass es uns gelingen wird, auch mit zunehmendem Alter noch kreativ zu sein? In der Psychologie herrschte nämlich bis vor kurzem ein Defizitkonzept des Alters vor, das Alter als kontinuierlicher kognitiver, emotionaler und körperlicher Abbau.
Zwar waren wir überzeugt, dass wir selbst durchaus in der Lage wären, auch weiterhin produktiv und kreativ zu denken und zu arbeiten. Aber ich habe den Verdacht, dass wir uns auch misstraut haben und unsicher waren, ob wir wirklich neue Möglichkeiten finden würden. In dieser Situation haben wir auf das zurückgegriffen, was wir ein Leben lang gelernt und gemacht hatten, auf die Wissenschaft.
Dort gibt es in der Entwicklungsforschung einen wichtigen Grundsatz. Dieser lautet:
Wenn du etwas über zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten wissen willst, suche dir sogenannte „entwickelte Fälle“, also Beispiele für eine gelungene Entwicklung. Sie zeigen dir, welche Entwicklungsmöglichkeiten es gibt. Das kann helfen, eine Perspektive für Entwicklung zu gewinnen.
Auf dem Hintergrund eines solchen Grundsatzes lag es nahe, die Kreativität von Künstlern im Alter zu untersuchen. Künstler sind in unserer Gesellschaft der Prototyp für Kreativität. Wir konnten also einigermaßen sicher sein, dass wir in dieser Gruppe entwickelte Fälle finden würden, also Menschen, die auch im Alter noch kreativ sind.
Da wir Psychologen und keine Kunsthistoriker sind, interessierten uns die persönlichen Aussagen der Künstler über ihre Erfahrungen mit dem Alter und seinen Auswirkungen auf die künstlerische Tätigkeit, nicht eine Untersuchung des sogenannten Alterswerks. Wir danken den Künstlern, die uns so viel Vertrauen entgegengebracht haben, um uns einen Einblick in ihre persönliche Perspektive auf dieses Thema zu geben und uns zu erlauben, ihnen diese Aussagen vorzustellen. 
In der Ausstellung werden sie 10 Tafeln vorfinden, auf denen die Aussagen zu den drei Hauptthemen (Was bedeutet Kreativität? Der schöpferische Prozess und Einfluss des Alters) von jeweils einer Künstlerin oder einem Künstler weitgehend so aufgezeichnet sind, wie sie im Interview gesagt wurden. Zusätzlich sehen sie noch zwei Tafeln mit Aussagen aus wissenschaftlicher Sicht, zum Einen über neuere Entwicklungen in der Psychologie des Alterns und in der kunsthistorischen Diskussion über das  Alterswerk, und zum Anderen eine Analyse der Struktur, die sich aus den Aussagen unserer Interviewpartner und -partnerinnen abstrahieren lässt.
Um ihnen die Künstler über die Aussagen hinaus auch optisch näher zu bringen, haben wir sie gebeten, uns für diese Ausstellung zwei Werke zur Verfügung zu stellen, ein älteres und ein möglichst ganz neues. So können sie sich selbst einen Eindruck von ihrer künstlerischen Tätigkeit machen. Außerdem haben wir auch Fotos hinzugenommen, welche Ulrike Bergold von den Künstlern während der Interviews aufgenommen hat.
Wir sind uns darüber im Klaren, dass es kaum möglich ist, die vielen Texte auf den ausgestellten Tafeln vollständig zu lesen. Schon gar nicht wird die Zeit ausreichen, die vielfältigen Anregungen zu verarbeiten und in Beziehung zu den eigenen Erfahrungen zu setzen. Wir möchten sie daher anregen, durch die Ausstellung zu wandern und an dem einen oder anderen Bild hängen zu bleiben, sich von einzelnen Aussagen in den Texten anregen zu lassen und den eigenen Ideen nachzugehen.
Als Nächstes will ich noch einige, wenige Punkte aufgreifen, an denen ich/wir selbst „hängen geblieben“ sind, die unser Denken über die eigenen Entwicklungsmöglichkeiten angeregt haben. Was haben wir gelernt?
Es ist uns deutlich geworden, dass wir uns von dem Begriff der Kreativität lösen sollten, der ja zu Beginn unsere Fragestellung geleitet hatte. Er ist zu einem Reizwort in glanzvollen Werbeprospekten verkommen. Kreativität ist außerdem ein Begriff aus der Beobachterperspektive und nicht aus der Subjektperspektive, d.h. das Prädikat „kreativ“ wird von außen, von einem Beobachter der Tätigkeit oder dem Produkt zuerkannt. Die Künstler, die wir interviewt haben, konnten relativ wenig damit anfangen. Das machte unsere Suche nach der Kreativität im Alter aus der Subjektperspektive unergiebig.
Ich glaube, man muss bei diesem Begriff auf seinen Ursprung zurückgehen, nämlich auf das Lateinische „creare“, etwas hervorbringen, etwas erschaffen. „In principio creavit Deus caelum et terram“ - Am Anfang schuf Gott Himmel und Erden. Dabei wird auch noch angegeben, dass es offensichtlich Spaß gemacht hat, denn in der Bibel wird nach jeder Schöpfungstat festgestellt: und er sah dass es gut war.
Damit trifft man sich mit den Künstlern, für die das Etwas-machen im Vordergrund steht. Der Bildhauer Rolf Szymanzki beispielsweise sagt: “Ja, Kreativität. Ja, kreativ ist doch das Machen.”
Der Maler Harald Reichelt fügt dann noch den Spaßteil hinzu in dem er sagt: “Und insofern ist für mich also nicht unbedingt der Prozess so ein Kreativprozess, sondern es ist einfach ein Prozess des Machens. Und das Spaßige daran ist ja eigentlich das Machen, nicht. Wenn das Ding dann fertig ist, interessiert es mich eigentlich nicht mehr.
Das Machen um des Machens Willen, so grundlegend wie atmen. Das könnte aus der Sicht der Künstler die angemessene Bestimmung von schöpferischer Tätigkeit sein. Wenn man dies mit wissenschaftlichen Begriffen fassen will, so scheint der Begriff der „Funktionslust“ geeignet, der aus der kindlichen Entwicklung bekannt ist. Das ist die „Annahme K. Bühlers, dass das spielende Kind nicht aus Genuss- oder Schöpferfreude, sondern aus Lust an den biol. Funktionen unermüdlich Handlungen gestalte und wiederhole.“ (aus Dorsch, Lexikon der Psychologie, https://portal.hogrefe.com/dorsch/funktionslust/)
Die von uns befragten Künstler scheinen diese Lust mit zunehmendem Alter nicht zu verlieren. Allerdings muss man sich fragen, warum das so ist.
Um das zu verstehen, muss man auf ihre Beschreibung des Arbeitsprozesses zurückgreifen. Sie berichten, dass für sie dieser Prozess das Wichtigste, Interessanteste und Spannendste ist. In der Auseinandersetzung mit dem Material entstehen immer wieder neue Herausforderungen. Diese können einerseits von Außen, aus der Widerständigkeit des Materials kommen. Die Farbe kann plötzlich unkontrolliert fließen, der Stein oder das Holz sind an bestimmten Stellen widerständig und erlauben nicht das zu formen, was ursprünglich geplant war, bei Installationen werden Dinge von den Helfern anders als verabredet gemacht oder in der Diskussion mit ihnen entstehen neue Ideen usw.. Solche neue Ideen oder Sichtweisen können andererseits auch aus dem eigenen Inneren kommen, es sind Assoziationen, Erinnerungen, Gefühle, Emotionen, welche das ganze Konzept verändern können.
Ich denke, dass dieser Schaffensprozess, in dem Neues und Unerwartetes auftaucht, auf das dann schöpferisch reagiert werden muss, der entscheidende Faktor ist, um auch im Alter weiter mit Lust zu arbeiten. Bei unseren Interviewpartnern bleiben Neugier und Interesse bestehen, weil sie tatsächlich in diesem Prozess, der nicht voraussehbar ist, immer wieder Neues und Aufregendes entdecken.
Der Maler Wolfgang Leber formuliert dies sehr eindrücklich. Er sagte uns: „die Welt der Malerei ist so voller Wunder, sage ich einmal, und so voller Erfindungen. Das kann man sich gar nicht vorstellen. Und das macht die Sache auch spannend und interessant. Und da braucht man doch nie denken, dass es einmal irgendwie ein Ende gibt.“
In diesem Prozess wir nicht nur das Material verändert und wird zum manifesten Kunstwerk, sondern auch die Künstlerin oder der Künstler.
Die mexikanische Bildhauerin und Installationskünstlerin Helen Escobedo nennt dies ein kontinuierliches Lernen auch im Alter: „I learn and learn and learn. I wouldn't ever have thought of it in a thousand years.”
Dieser Prozess ist auch eng mit grundlegenden Dimensionen der Persönlichkeit verbunden. In ihren Aussagen definieren sich die von uns interviewten Künstlerinnen über ihrer Arbeit, d.h. über das Schöpferisch-etwas-machen. Die künstlerische Tätigkeit ist zentraler Teil ihrer Identität. Das klingt vielleicht selbstverständlich, hat aber weitreichende Konsequenzen. Das wird bei Elrit Metzkes deutlich. Sie schildert, wie bei Abschluss eines Werks gar keine große Freude aufkommt, weil sie in Gedanken schon wieder beim nächsten ist. Dann fährt sie fort: „Der Gedanke, dass ich sagen würde: "So! Das ist das Letzte", das wäre ja ein Aufgeben, dass man sich selber aufgibt, ne? Nein, so fühle ich mich noch nicht.“
Die befragten Künstler gewinnen in dem kontinuierlichen, immer neuen Machen ein Bewusstsein der Kontinuität ihrer Identität. Aufhören würde bedeuten, sich selbst aufzugeben. Die beständigen Herausforderungen und deren Bewältigung motivieren, der Welt offen, aufmerksam und neugierig gegenüberzutreten. Gleichzeitig sind sie der beste Schutz gegen altersbedingten Rückzug, selbst wenn physische Beeinträchtigungen das Machen erschweren. Dann kann man auf andere Techniken umschalten, z.B. vom spitzen Bleistift auf einen breiteren Pinsel.
Es gibt noch viele andere Punkte, die uns angeregt haben, über uns selbst und unsere Entwicklung nachzudenken. Wir wünschen und hoffen, dass sie im Gang durch die Ausstellung ebenfalls Anregungen und Ideen gewinnen, wie Entwicklungsperspektiven für ein kreatives Alter aussehen könnten.
Bevor ich jetzt ende, möchte ich mich noch ganz herzlich bei der Baumgart-Stiftung und deren Vorsitzende, Frau Dr. Hildegard Baumgart bedanken, die unser Unternehmen durch finanzielle Unterstützung gefördert hat, und bei Wolfgang Immenhausen und der Galerie am Wannsee, der die schönen Räume und das herrliche Ambiente zur Verfügung gestellt hat.  

Jarg Bergold

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